Weitere Informationen zum PolyTrace-IndEx: www.polytrace-index.com
Herr Faust, Sie haben mit dem PolyTrace-IndEx ein Bewertungssystem geschaffen, das in Industrie und Hochschulen gleichermaßen für Aufmerksamkeit sorgt. Wie ist die Idee entstanden?
Prof. Dr.-Ing. Karsten Faust: Der Ursprung liegt tatsächlich einige Jahre zurück. In Forschung und Lehre zur Nachhaltigkeitsbewertung von Kunststoffen habe ich immer wieder festgestellt: Wir sprechen zwar viel über CO₂-Fußabdruck, Recyclingfähigkeit und Kreislaufwirtschaft – aber es fehlte ein Instrument, das all diese Aspekte integriert und transparent auf Bauteilebene abbildet.
So entstand zunächst der NUK-IndEx, ein akademisches Versuchssystem mit 24 Bewertungssäulen. Irgendwann stellte sich die Frage: Warum dieses Konzept nicht zu einem praxisfähigen Werkzeug weiterentwickeln – mit realen Daten, in realen Projekten, für reale Komponenten? Aus dem NUK-IndEx wurde so der PolyTrace-IndEx.
Was genau bedeutet „PolyTrace-IndEx“?
Faust: „Poly“ steht für Polymer, „Trace“ für Nachverfolgbarkeit. Der Name spiegelt den Kern des Systems wider: Es geht um Transparenz und Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Material über Produktion bis zum Recycling.
Der IndEx versucht, diese komplexen Wirkungen messbar, strukturiert und vergleichbar zu machen. Ich wollte eine Brücke schlagen zwischen der analytischen Tiefe einer LCA und der praktischen Realität in Entwicklung, Einkauf und Fertigung. PTIx ist damit weder ein klassisches LCA-Tool noch ein reines Reporting-Instrument – sondern eine operative Bewertungsplattform für Ingenieurinnen, Ingenieure, Nachhaltigkeitsmanagerinnen und -manager sowie Entscheider.
Der PTIx umfasst 24 Hauptkategorien und rund 250 Unterkriterien – das klingt zunächst sehr aufwendig. Wie praktikabel ist das System in der Praxis?
Faust: Das lässt sich sehr gut handhaben. Wenn die Wertschöpfungskette eines Produkts bekannt ist und die Datengrundlage vollständig vorliegt, beträgt der zeitliche Aufwand in der Regel zwischen 60 und 120 Minuten. Die Aussagekraft des PTIx-Werts und der zugehörigen Klassifizierung hängt von der Qualität der zugrundeliegenden Daten ab – je besser die Datentiefe, desto präziser die Ergebnisse.
Der strukturierte Aufbau des PTIx führt zudem häufig dazu, dass beispielsweise Unternehmen oder Studierende in den Projekten, durch die Bewertung neue Erkenntnisse über ihre Prozesse gewinnen. Viele entdecken Parameter, die bislang wenig beachtet wurden. Der PTIx ist also nicht nur ein Bewertungstool, sondern auch ein Lernsystem zur gezielten Weiterentwicklung der Nachhaltigkeit.
Wann wurde Ihnen klar, dass das Projekt ein Gamechanger sein könnte?
Faust: Der erste große Praxistest fand im Bereich der Fördertechnik statt. Hier wurden spezielle Kunststoffgleitketten untersucht, die über integrierte Schmierstoffsysteme verfügen, um Reibkräfte zu reduzieren. Das beeinflusst nicht nur die Reibkoeffizienten, sondern auch die Umfangskräfte und die Auslegung des gesamten Antriebssystems einer Anlage. Gleichzeitig verlängern sich Wartungsintervalle und Lebensdauer – technisch wie wirtschaftlich also ein hochinteressanter Ansatz.
Spannend war jedoch vor allem die Frage: Wie lässt sich dieser Effekt auf die Nachhaltigkeit quantifizieren? Zu diesem Zeitpunkt konnte darauf niemand eine präzise Antwort geben.
Und wie berücksichtigt der PTIx diese breite Themenlage?
Faust: Genau hier zeigte der PTIx seine Stärke: Er stellt nicht nur den Nachhaltigkeitswert eines Bauteils in Relation zu wirtschaftlichen Aufwendungen und bildet daraus eine Ökoeffizienzkennzahl, sondern ermöglicht auch den Vergleich von Leistungs- und Zuwachsfaktoren entlang der Optimierungskette.
Dadurch lassen sich in einem Modell bis zu zehn Berechnungsszenarien durchführen – jeweils mit Ergebnissen, Klassifizierung und detaillierter Ergebnisdarstellung aller Haupt- und Unterkategorien. So entsteht eine hohe Nachvollziehbarkeit und Transparenz.
Darauf aufbauend folgten weitere Anwendungen bei elobau sowie im Rahmen einer Masterarbeit ein Projekt mit CEAT Limited. Beide Projekte haben gezeigt, dass die Methode valide, nachvollziehbar und in unterschiedlichen Anwendungskontexten zuverlässig einsetzbar ist.
Was unterscheidet den PTIx von anderen Nachhaltigkeitstools?
Faust: Zum einen seine volumen- und massenbasierte Logik im Bereich der Einzel- und Bauteilgruppenbewertung: Wir analysieren reale Bauteilvolumina – keine abstrakten Scores. Zum anderen die Nachvollziehbarkeit: Jede Bewertung ist transparent dokumentiert. Der Anwender versteht, woher der Wert kommt und wie er sich zusammensetzt.
Der PTIx deckt mit seinem 360°-Ansatz alle Lebensphasen eines Produkts ab – Material, Produktion, Transport, Nutzung, Recycling sowie Governance- und Innovationsfaktoren. Das schafft eine Tiefe, die klassische Tools selten bieten.
Kritiker könnten nun einwenden, dass der PTIx sehr unterschiedliche Parameter miteinander verknüpft – teils aus verschiedenen Quellen, mit unterschiedlichen Einheiten oder Annahmen. Manche würden sagen, Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf?
Faust: Das ist ein berechtigter und zugleich wichtiger Punkt. Wir bewerten im PTIx tatsächlich eine Vielzahl unterschiedlicher Parameter – mechanische, ökologische, ökonomische und soziale. Entscheidend ist jedoch nicht die absolute Vergleichbarkeit der Einheiten, sondern die strukturelle Kohärenz innerhalb der Methodik.
Alle Faktoren werden in einem normierten Bewertungsrahmen abgebildet, intern gewichtet, skaliert und durch Monte-Carlo-Analysen auf Konsistenz geprüft. Zusätzlich werden über Sensitivitätsanalysen potenzielle Optimierungsparameter identifiziert und dem Anwender:in vorgeschlagen.
Dadurch entsteht keine Addition von Zufällen, sondern eine nachvollziehbare, reproduzierbare Systembewertung. Das klingt zunächst komplex – im Hintergrund erfolgt jedoch alles automatisiert über eine zentrale Datenbank. Oder anders gesagt: Der PTIx vergleicht keine Äpfel mit Birnen – er betrachtet den gesamten Obstkorb. Nur so lässt sich das Gesamtbild der Nachhaltigkeit auch wirklich verstehen. Der Anwender:in erhält einen Wert und eine Klassifizierung.
Welche Rolle spielt das System im Zusammenhang mit CSRD und DPP?
Faust: Eine zentrale. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verlangt künftig belastbare, prüfbare Daten. Die Digital Product Passport (DPP)-Initiativen wiederum fordern strukturierte Produktinformationen auf Komponentenebene.
Der PTIx bildet hier eine Brücke zwischen technischer Produktbewertung und regulatorischen Berichtspflichten. Ziel ist es, Nachhaltigkeitsdaten so aufzubereiten, dass sie sich künftig in digitale Produktpässe integrieren lassen – ob über eigene Schnittstellen oder auch in Kooperation mit Partnern aus bestehenden Netzwerken.
Wie sieht die Zukunft des PTIx aus?
Faust: Ich möchte die Frage auf zwei Ebenen beantworten.
Auf der ersten Ebene stehen die konkreten technologischen Weiterentwicklungen, die wir für den PolyTrace-IndEx planen. Dazu gehören insbesondere:
- Eine KI-gestützte Reporting-Engine, die automatisch aussagekräftige Nachhaltigkeitsberichte erstellt, Optimierungspotenziale identifiziert und Handlungsempfehlungen liefert.
- Die Transformation des bereits leistungsfähigen PTIx-Bewertungssystems in eine umfassende Softwareplattform mit moderner Benutzeroberfläche, interaktiven Dashboards, erweiterten Visualisierungsmodulen und direkter Power-BI-Anbindung.
- Die Integration des PTIx in die regulatorischen Anforderungen des Digital Product Passport (DPP), einschließlich der Anbindung relevanter Datenstrukturen und Compliance-Vorgaben.
- Die Entwicklung einer API-Schnittstelle (Application Programming Interface). Sie bildet die technische Basis, damit externe Systeme – sowohl von Anbietern als auch Anwendern – nahtlos mit dem PTIx kommunizieren können.
- Darauf aufbauend der nächste Schritt hin zu einer vollwertigen SaaS-Lösung (Software as a Service). Dies ermöglicht künftig ein cloudbasiertes, skalierbares Nachhaltigkeitsmanagement für einzelne Bauteile, komplette Baugruppen oder ganze Produktportfolios – basierend auf den PTIx-Bewertungsmodellen.
Ein erster Meilenstein auf diesem Weg ist bereits in der Umsetzung: die maschinenlesbare QR-Code-Ausgabe. Damit kann künftig jedes Bauteil nicht nur seinen individuellen PTIx-Nachhaltigkeitswert tragen, sondern auch sämtliche relevanten Kennzahlen digital abbilden – von der Leistungskennzahl und der Ökoeffizienzkennzahl über die Klassifizierung bis hin zu Standard-PTIx-Werten (mit und ohne volumenspezifischer Auswertung) sowie den jeweiligen Minimal- und Maximalwerten. So entwickelt sich der PTIx von einem reinen Bewertungsinstrument zu einem umfassenden digitalen Begleiter über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts – transparent, vergleichbar und sofort auslesbar.
Wie schnell und in welchem Umfang diese Innovationen umgesetzt werden, hängt letztlich von verfügbaren Ressourcen, geeigneten Partnerschaften und strategischen Prioritäten ab. Der Weg jedoch ist klar definiert – und die Richtung geht eindeutig hin zu einem intelligenten, vernetzten und hochautomatisierten Nachhaltigkeitsökosystem.
Und was umfasst die zweite Ebene?
Faust: Die zweite Zukunftsebene betrifft meine rein persönliche Vision: Ich sehe den PTIx langfristig als etabliertes Nachhaltigkeitsbewertungssystem für Kunststoffbauteile, das zwischen CSRD und DPP als Bindeglied fungiert und sowohl wissenschaftliche als auch industrielle Perspektiven vereint – mit dem Ziel, sich als Standard zu etablieren.
Ist geplant, dass der PTIx auch den Studierenden an der Hochschule Darmstadt im Fachbereich Maschinenbau & Kunststofftechnik zur Verfügung steht – als professionelles Tool zur Bewertung der Nachhaltigkeit?
Faust: Ja, selbstverständlich. Genau das ist auch die Intention: Eine Studierendenversion des PTIx soll künftig gezielt in die Lehre integriert werden. Gerade das ist für mich der besondere Reiz der akademischen Arbeit – unseren Studierenden wissenschaftlich erprobte Methoden an die Hand zu geben, um Lehre und Praxis auf ein hohes wissenschaftliches Niveau zu heben.
Zugleich bietet das System den Studierenden einen echten Mehrwert für den späteren Berufseinstieg: Wer früh versteht, wie Nachhaltigkeit in technischen Prozessen ganzheitlich bewertet wird, kann sich mit aktuellem Know-how und methodischer Kompetenz im Wettbewerb um die besten Positionen profilieren. Das ist angewandte Lehre im besten Sinne – und gleichzeitig ein schönes Aushängeschild für unseren Fachbereich.
Lassen Sie uns nochmals auf den DPP und seine möglichen Rahmenbedingungen zurückkommen. Diese sind noch nicht vollständig definiert. Entwickeln Sie also nicht ins Blaue hinein?
Faust: Nein, ganz im Gegenteil. Wir entwickeln voraus, nicht ins Blaue. Der PTIx ist so konzipiert, dass er sich an bestehende und künftige Rahmenbedingungen anpassen kann. Die Methodik ist modular, skalierbar und datenlogisch offen aufgebaut – sie lässt sich an neue Reporting- und Datenschnittstellen anlehnen.
Niemand weiß heute exakt, wie die finale DPP-Struktur in fünf Jahren aussehen wird. Aber genau deshalb brauchen wir Systeme, die nicht starr, sondern zukunftsoffen sind. Der PTIx ist so etwas wie ein Übersetzer zwischen Ingenieursrealität und regulatorischer Zukunft – und er wird sich dort andocken, wo es sinnvoll und technologisch möglich ist.
Wenn Sie heute zurückblicken – was war der entscheidende Moment?
Faust: Der Moment, in dem mir klar wurde, dass Nachhaltigkeit messbar sein muss – aber eben nicht eindimensional und primär auf Makroebene (Unternehmen), sondern auf Mikroebene am Bauteil. Der PolyTrace-IndEx versucht, diese Komplexität greifbar zu machen: wissenschaftlich fundiert, aber zugleich praxisnah, transparent und offen für Weiterentwicklung.
Ich denke, das ist der Grund, warum so ein reges Interesse rund um den PTIx besteht – was mich natürlich sehr freut. Wir wollen an der Hochschule Nachhaltigkeit greifbar machen und das in Lehre unter wissenschaftlicher Methodik.
Vielen Dank für das Gespräch!
Hinweis:
Dieses Interview entstand im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Fachbereichs Maschinenbau und Kunststofftechnik der Hochschule Darmstadt. Der PolyTrace-IndEx (PTIx) wurde im Kontext der Forschung und Lehre von Prof. Dr.-Ing. Karsten Faust entwickelt. Es spiegelt die persönliche wissenschaftliche Arbeit von Prof. Dr.-Ing. Karsten Faust wider und erhebt keinen kommerziellen Charakter. Die Nennung externer Links erfolgt als weiterführende Information. Für deren Inhalte ist die Hochschule Darmstadt nicht verantwortlich.